Donnerstag, 27. März 2014

Von der Notwendigkeit Alternativen zu leben

Ein Kommentar von Kosima Graf

Der Kapitalismus tötet?

Foto: Colours-Pic, Fotolia
Foto: Colours-Pic, Fotolia
„Der Kapitalismus tötet“, lehrt Papst Franziskus in seinem Evangelii Gaudium. Dieser provokante Satz avancierte in den Medien mit dem Tenor, dass es klüger sei, den Kapitalismus zu modifizieren, ihn zu reparieren, als ihn abzuschaffen. Ist eine solche Reparatur denn möglich? Hat der Papst mit seiner Aussage nicht vielleicht doch Recht? Tötet das Wirtschaftssystem des Kapitalismus nicht Millionen Menschen durch Ausbeutung, Hunger und Elend? Tötet sich unser kapitalistisches Wirtschaftssystem am Ende nicht selbst und damit auch uns, weil unsere Ressourcen, beispielsweise fossile Energien, endlich sind? Verteilungskämpfe drohen, die apokalyptische Ausmaße annehmen können, bedenkt man die weltweite atomare Hochrüstung. Wird der Kapitalismus Millionen durch Wirtschaftskriege töten? Die Möglichkeit besteht. Machen wir uns nichts vor, der Zukunftsoptimismus der Baby-Boomer-Generation ist verschwunden. Denn das Versprechen einer weltweiten Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Menschen durch Kapitalismus und technischen Fortschritt wurde nicht eingelöst. Die Transformation der westlichen Industrie-Gesellschaft zu einer Green Economy ist und bleibt neoliberal und kann die Ressourcenverschwendung nicht stoppen.

Wohlstand für wenige

Der Fall der Mauer 1989 bedeutete eine Zäsur, das Ende einer Systemkonkurrenz zwischen Planwirtschaft und sozialer Marktwirtschaft, das Ende der Parole „Wohlstand für alle“. Im Jahr 2013 profitieren zunehmend weniger Menschen vom weltweiten Siegeszug einer grenzenlosen Marktwirtschaft, einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche, eines Konsumismus, der im Gewand grenzenloser Konsumfreiheit für Gutverdiener auftritt, einer Verschwendungskultur, die weltweit Abfallberge ins Unendliche produziert. Lediglich Krisenerfahrungen machen uns im noch vorhandenen Wohlstand bewusst, dass unser Überleben von Werten abhängig ist, die sich jeder Marktlogik entziehen, wie Vertrauen, Liebe und Selbstlosigkeit.

Die Krise ist Alltag

Machen wir uns nichts vor, wir leben im Zustand der Neurose, der Verdrängung. Statistisch gesprochen: Die Kurve des Material- und Energieverbrauchs und der Emissionen verläuft steil nach oben bei gleichzeitig steigendem Umweltbewusstsein. Wir konsumieren immer mehr bei zunehmend schlechtem Gewissen. Apokalypsebewusstsein und Zerstörungswut führen in jedem von uns eine friedliche Koexistenz. Warum ist das so? Wir handeln im kulturellen Kontext eines kapitalistischen Systems, das auf Wachstum basiert. Wachstum ist Staatsaufgabe, staatliche Konjunkturprogramme garantieren Wachstum. Wachstum ist geradezu ein zivilreligiöser Begriff. Die Frohe Botschaft der Wachstumsideologie, Merkels Paraphrase aus der Bibel, bringt es auf den Punkt: „Ohne Wachstum ist alles nichts.“ Die ganze Alternativlosigkeit politischen und individuellen Handelns gipfelt in diesem Satz unserer Bundeskanzlerin.

Gibt es Gegenstrategien?

Foto: Colours-Pic, Fotolia
Foto: Colours-Pic, Fotolia
Machen wir uns nichts vor, politischer Protest ist wirkungslos. Weltweit agieren nach einer Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich 147 internationale Unternehmen, die 40 Prozent des weltweiten Unternehmenswertes halten und dank ihrer Vernetzungsarchitektur Volkswirtschaften aufbauen oder auch ruinieren können. Wir alle, die Bürger, die Parteien und die Regierungen befinden sich in einer schlechten Verhandlungsposition. Die Machtkonzentration dieser neuen Trustokratie ist mit den alten Mitteln der gesetzlichen Kontrolle nicht wirksam zu bekämpfen.Wo liefen die bisherigen Linien des Protests, des Widerstands? Schon seit Jahrzehnten arbeiten Organisationen wie Robin Wood und Greenpeace mit den Mitteln des Campaignings. Aktionsformen sind: spektakuläre und riskante Störungen des Normalbetriebs, Konsumboykott-Maßnahmen und Carottmobs mit Aufrufen per Smartphon zum nachhaltigen Konsum.

Konsumstrategische Maßnahmen greifen zu kurz

Denn für uns alle geht es um die Rückeroberung politischer Gestaltungsmacht mit dem Ziel einem entfesselten Kapitalismus Grenzen zu setzen und den gigantischen Umverteilungsprozess, der seit der Finanzkrise 2008 öffentliches Vermögen in privates transformiert, wirksam zu unterbrechen. Ein wirtschaftlicher Strukturwandel braucht eine neue, mentale Infrastruktur einer kritischen Masse von „selbstdenkenden Menschen“. Harald Welzer, der Berliner Sozialpsychologe und Vorsitzender der Stiftung Futurzwei, hofft auf die drei bis fünf Prozent von Unternehmern und Vorständen, die drei bis fünf Prozent der Unterhändler auf internationalen Klimaverhandlungen, die drei bis fünf Prozent der Staatschefs, der Professorenschaft, der Lehrer, der Journalisten und anderer Berufsgruppen, die beginnen, die Dinge anders zu machen.

Aussteiger sind wieder gefragt

Sie brauchen die Unterstützung durch Medien, Betriebsräte, Sponsoren oder Kommunen um unsere gegenwärtige Alternativlosigkeitskultur zu unterwandern. Ein guter Umgang mit der Welt, das lehrt die Literatur, hat mit rationalem Wissen nichts zu tun, sondern gründet sich auf Wünsche, Träume, Gefühle und auf eine Lebenspraxis, die sich vom Ökonomiediskurs abkoppelt. Anders- und Querdenker erzählen neue Lebens- und Unternehmensgeschichten, wie Christian Felber, der Vorsitzende von Attac Österreich in seinen Büchern zur Gemeinwohlökonomie, Heini Staudinger, der 1990 die Firma GEA (die Erdmutter Gaia als Namenspatin) gründete oder Simon Scholl und Daniel Überall mit ihrem Kartoffelkombinat. Denn irgendwann tötet der Kapitalismus nicht mehr, sondern ist selbst wirklich tot, begraben in den Geschichtsbüchern. Aber das ist wieder eine neue Geschichte.

Geschichten zum Selbstdenken und Nachlesen:

Welzer, Harald, Selbstdenken. Eine Anleitung zum Widerstand, Frankfurt a. Main 2013.

www.adz-netzwerk.de
www.backhausen.com/returnity.php
www.futurzwei.org
www.gea.at
www.gruene-helden.de
www.kartoffelkombinat.de
www.recyclingdesignpreis.org
www.regionalwert-ag.de
www.rolfdisch.de
www.schmidttakahashi.de
www.stiftung-intact.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen