Von der Notwendigkeit Alternativen zu leben
Ein Kommentar von Kosima Graf
Der Kapitalismus tötet?
Foto: Colours-Pic, Fotolia
„Der Kapitalismus tötet“, lehrt Papst
Franziskus in seinem Evangelii Gaudium. Dieser provokante Satz
avancierte in den Medien mit dem Tenor, dass es klüger sei, den
Kapitalismus zu modifizieren, ihn zu reparieren, als ihn abzuschaffen.
Ist eine solche Reparatur denn möglich? Hat der Papst mit seiner Aussage
nicht vielleicht doch Recht? Tötet das Wirtschaftssystem des
Kapitalismus nicht Millionen Menschen durch Ausbeutung, Hunger und
Elend? Tötet sich unser kapitalistisches Wirtschaftssystem am Ende nicht
selbst und damit auch uns, weil unsere Ressourcen, beispielsweise
fossile Energien, endlich sind? Verteilungskämpfe drohen, die
apokalyptische Ausmaße annehmen können, bedenkt man die weltweite
atomare Hochrüstung. Wird der Kapitalismus Millionen durch
Wirtschaftskriege töten? Die Möglichkeit besteht. Machen wir uns nichts
vor, der Zukunftsoptimismus der Baby-Boomer-Generation ist verschwunden.
Denn das Versprechen einer weltweiten Verbesserung der
Lebensverhältnisse aller Menschen durch Kapitalismus und technischen
Fortschritt wurde nicht eingelöst. Die Transformation der westlichen
Industrie-Gesellschaft zu einer Green Economy ist und bleibt neoliberal
und kann die Ressourcenverschwendung nicht stoppen.
Wohlstand für wenige
Der Fall der Mauer 1989 bedeutete eine
Zäsur, das Ende einer Systemkonkurrenz zwischen Planwirtschaft und
sozialer Marktwirtschaft, das Ende der Parole „Wohlstand für alle“. Im
Jahr 2013 profitieren zunehmend weniger Menschen vom weltweiten
Siegeszug einer grenzenlosen Marktwirtschaft, einer Ökonomisierung aller
Lebensbereiche, eines Konsumismus, der im Gewand grenzenloser
Konsumfreiheit für Gutverdiener auftritt, einer Verschwendungskultur,
die weltweit Abfallberge ins Unendliche produziert. Lediglich
Krisenerfahrungen machen uns im noch vorhandenen Wohlstand bewusst, dass
unser Überleben von Werten abhängig ist, die sich jeder Marktlogik
entziehen, wie Vertrauen, Liebe und Selbstlosigkeit.
Die Krise ist Alltag
Machen wir uns nichts vor, wir leben im
Zustand der Neurose, der Verdrängung. Statistisch gesprochen: Die Kurve
des Material- und Energieverbrauchs und der Emissionen verläuft steil
nach oben bei gleichzeitig steigendem Umweltbewusstsein. Wir konsumieren
immer mehr bei zunehmend schlechtem Gewissen. Apokalypsebewusstsein und
Zerstörungswut führen in jedem von uns eine friedliche Koexistenz.
Warum ist das so? Wir handeln im kulturellen Kontext eines
kapitalistischen Systems, das auf Wachstum basiert. Wachstum ist
Staatsaufgabe, staatliche Konjunkturprogramme garantieren Wachstum.
Wachstum ist geradezu ein zivilreligiöser Begriff. Die Frohe Botschaft
der Wachstumsideologie, Merkels Paraphrase aus der Bibel, bringt es auf
den Punkt: „Ohne Wachstum ist alles nichts.“ Die ganze
Alternativlosigkeit politischen und individuellen Handelns gipfelt in
diesem Satz unserer Bundeskanzlerin.
Gibt es Gegenstrategien?
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Machen wir uns nichts vor, politischer
Protest ist wirkungslos. Weltweit agieren nach einer Studie der
Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich 147 internationale
Unternehmen, die 40 Prozent des weltweiten Unternehmenswertes halten und
dank ihrer Vernetzungsarchitektur Volkswirtschaften aufbauen oder auch
ruinieren können. Wir alle, die Bürger, die Parteien und die Regierungen
befinden sich in einer schlechten Verhandlungsposition. Die
Machtkonzentration dieser neuen Trustokratie ist mit den alten Mitteln
der gesetzlichen Kontrolle nicht wirksam zu bekämpfen.Wo liefen die
bisherigen Linien des Protests, des Widerstands? Schon seit Jahrzehnten
arbeiten Organisationen wie Robin Wood und Greenpeace mit den Mitteln
des Campaignings. Aktionsformen sind: spektakuläre und riskante
Störungen des Normalbetriebs, Konsumboykott-Maßnahmen und Carottmobs mit
Aufrufen per Smartphon zum nachhaltigen Konsum.
Konsumstrategische Maßnahmen greifen zu kurz
Denn für uns alle geht es um die
Rückeroberung politischer Gestaltungsmacht mit dem Ziel einem
entfesselten Kapitalismus Grenzen zu setzen und den gigantischen
Umverteilungsprozess, der seit der Finanzkrise 2008 öffentliches
Vermögen in privates transformiert, wirksam zu unterbrechen. Ein
wirtschaftlicher Strukturwandel braucht eine neue, mentale Infrastruktur
einer kritischen Masse von „selbstdenkenden Menschen“. Harald Welzer,
der Berliner Sozialpsychologe und Vorsitzender der Stiftung Futurzwei,
hofft auf die drei bis fünf Prozent von Unternehmern und Vorständen, die
drei bis fünf Prozent der Unterhändler auf internationalen
Klimaverhandlungen, die drei bis fünf Prozent der Staatschefs, der
Professorenschaft, der Lehrer, der Journalisten und anderer
Berufsgruppen, die beginnen, die Dinge anders zu machen.
Aussteiger sind wieder gefragt
Sie brauchen die Unterstützung durch
Medien, Betriebsräte, Sponsoren oder Kommunen um unsere gegenwärtige
Alternativlosigkeitskultur zu unterwandern. Ein guter Umgang mit der
Welt, das lehrt die Literatur, hat mit rationalem Wissen nichts zu tun,
sondern gründet sich auf Wünsche, Träume, Gefühle und auf eine
Lebenspraxis, die sich vom Ökonomiediskurs abkoppelt. Anders- und
Querdenker erzählen neue Lebens- und Unternehmensgeschichten, wie
Christian Felber, der Vorsitzende von Attac Österreich in seinen Büchern
zur Gemeinwohlökonomie, Heini Staudinger, der 1990 die Firma GEA (die
Erdmutter Gaia als Namenspatin) gründete oder Simon Scholl und Daniel
Überall mit ihrem Kartoffelkombinat.
Denn irgendwann tötet der Kapitalismus nicht mehr, sondern ist selbst
wirklich tot, begraben in den Geschichtsbüchern. Aber das ist wieder
eine neue Geschichte.
Geschichten zum Selbstdenken und Nachlesen:
Welzer, Harald, Selbstdenken. Eine Anleitung zum Widerstand, Frankfurt a. Main 2013.
www.adz-netzwerk.de
www.backhausen.com/returnity.php
www.futurzwei.org
www.gea.at
www.gruene-helden.de
www.kartoffelkombinat.de
www.recyclingdesignpreis.org
www.regionalwert-ag.de
www.rolfdisch.de
www.schmidttakahashi.de
www.stiftung-intact.de
Geschichten zum Selbstdenken und Nachlesen:
Welzer, Harald, Selbstdenken. Eine Anleitung zum Widerstand, Frankfurt a. Main 2013.
www.adz-netzwerk.de
www.backhausen.com/returnity.php
www.futurzwei.org
www.gea.at
www.gruene-helden.de
www.kartoffelkombinat.de
www.recyclingdesignpreis.org
www.regionalwert-ag.de
www.rolfdisch.de
www.schmidttakahashi.de
www.stiftung-intact.de